Jedermann von uns kann sich ohne Probleme davon überzeugen, daß Galaxien und Galaxienhaufen Sterne und Gas enthalten. Aber diese
Objekte enthalten noch eine weitere Materiekomponente, die nicht
sichtbar ist, weder mit optischen Telekopen, noch im Radio- oder
Röntgenbereich. Diese zusätzliche Komponente macht sich nur durch
ihre zusätzliche Schwerkraft bemerkbar. Die ersten Hinweise auf
diese sogenannte 'Dunkle Materie' wurden schon in der 30er Jahren
dieses Jahrhunderts gefunden, allerdings lange Zeit nicht ernst
genommen. Erst in den letzten zwanzig Jahren ist es gelungen, Dunkle
Materie in fast allen Sternsystemen nachzuweisen, von
Zwerge über Spiralgalaxien bis zu
Galaxienhaufen.
In Spiralgalaxien
macht sich die dunkle Materie
durch die flachen Rotationskurven bemerkbar.
Normalerweise würde man
erwarten, daß die Rotationgeschwindigkeit der Spiralgalaxien bei
großen Zentrumsabständen abnimmt, ähnlich wie auch im
Sonnensystem die äußeren Planeten langsamer um die Sonne umlaufen
als die inneren. Dies ist aber nicht der Fall. Bei den allermeisten
Spiralgalaxien ist es bisher nicht gelungen, eine Abnahme der
Rotationsgeschwindigkeit nachzuweisen. Die bisher einzige plausible
Erklärung für dieses Verhalten wird durch die Annahme gegeben,
daß es bei großen Radien bis zu zehnmal mehr Masse gibt, als
im Form von Sternen und Gas direkt
sichtbar ist, und die aufgrund ihrer zusätzlichen Schwerkraft die
Rotationskurven abflacht.
Wir untersuchen im Moment ein ähnliches, aber viel schwierigeres
Problem: die dunkle Materie in elliptischen Galaxien. Die Sterne in
Ellipsen haben kaum Rotation, aber großen
chaotischen Bewegungen.
Die Geschwindigkeitsdispersionen der Sternen
durch die Sichtlinien als Funktion der radialen Entfernung sind für Ellipsen
was Rotationskurven für Spiralen. Aber wenn wir flache
Geschwindigkeitsdispersionenprofilen messen, dürfen wir noch nicht
die Schlußfolgerung ziehen, daß dunkle Materie gibt. Wenn die
Sterne kaotische zirkulare Bahnen hätten, wäre es auch möglich,
flache Profile ohne dunkle Materie zu erzeugen! Wir haben aber jetzt
eine Methode entwickelt, die die Masse der dunklen Materie und
gleichzeitig die Form der stellaren Bahnen bestimmen kann. Wir
müssen nur die Verteilung der stellaren Geschwindigkeiten duech die
Sichlinien analysieren, um zu finden, daß doch auch Ellipsen ein
dunkles Halo besitzen, und daß nur wenige Sterne dieser Objekten
kaotische zirkulare Bahnen haben.
Auch in Gruppen und in Galaxienhaufen
gibt es sehr deutliche Hinweise
auf die Existenz der dunklen Materie. Aufgrund ihrer
)
gegenseitigen Anziehung bewegen sich die Galaxien in Haufen relativ
zueinander. Die Geschwindigkeiten der Galaxien hängen dabei von der
Gesamtmasse aller Galaxien im Haufen ab, d.h. durch die Messung der
Geschwindigkeiten kann man den Galaxienhaufen quasi 'wiegen'.
Umgekehrt kann man, wenn man die Masse aller Sterne in den Galaxien
des Haufens aufaddiert, die Geschwindigkeiten vorhersagen, die
notwendig sind, damit die Galaxien ihrer eigenen Gesamtschwerkraft
widerstehen können. Bei dieser Rechnung stellt sich heraus, daß es in den meisten Haufen ca. fünf- bis zehnmal mehr Masse gibt als
insgesamt in Sternen und Gas vorliegt. In den letzten zehn Jahren sind
diese Massenbestimmungen aus der Bewegung der Galaxien durch den
Gravitationslinseneffekt und durch Röntgenmessungen hervorragend
bestätigt worden. Insbesondere der Gravitationslinseneffekt erlaubt
mittlerweile sehr verläßliche Untersuchungen der
Massenverteilung, da er ohne vereinfachende Annahmen auskommt. Die
Existenz dunkler Materie in Galaxienhaufen kann daher als zweifelsfrei
nachgewiesen erachtet werden.
Selbst auf größten Skalen gibt es Hinweise darauf, daß die dunkle Materie die dominante Komponente des Universums ist. Dies zeigt sich durch die sogenannten Pekuliargeschwindigkeiten der Galaxien.
Die dunkle Materie ist aber nicht nur eine exotische Erscheinung, die dem Astrophysiker Rätsel aufgibt, sondern, wie sich herausstellt, auch von essentieller Bedeutung für unsere eigene Existenz, d.h. allgemeiner gesprochen, für die Existenz von Galaxien und Sternen! Wir wissen, daß das Universum ca. hunderttausend Jahre nach dem Urknall nur äußerst geringe Unebenheiten von ca. 0.005% in der Verteilung der Atome zeigte. Nimmt man an, daß das Universum nur aus der uns bekannten Materie besteht, so kann man durch relativ einfache theoretische Überlegungen zeigen, daß diese Unebenheiten nur sehr langsam mit der Zeit wachsen, zwischen damals und heute um ungefähr einen Faktor Tausend. Das bedeutet aber, daß auch heute die Fluktuationen in der Verteilung der Atome nur ungefähr 5% betragen sollten. Somit sollte das heutige Universum lediglich mit einer etwas welligen, dünnen Wasserstoff-Helium-Suppe angefüllt sein (das sind die einzigen Elemente, die im Urknall gebildet wurden). Die heutigen Galaxien sind aber eine Million mal dichter als ihre Umgebung, d.h. es sollte sie also gar nicht geben! Ebenso wenig dürften Sterne und Planeten existieren, da sie nur in Galaxien gebildet werden können. Offensichtlich kann dieses einfache Modell der Galaxienentstehung nicht stimmen. Auf irgendeine Weise muß es möglich gewesen sein, die sehr geringen Anfangsfluktuationen um wesentlich mehr als einen Faktor tausend zu verstärken. Den bisher einzig plausiblen Ausweg bietet hier die dunkle Materie. Waren die Dichtefluktuationen der dunklen Materie hunderttausend Jahre nach dem Urknall wesentlich größer als diejenigen der Wasserstoff-Helium-Suppe (wofür es indirekte Hinweise gibt), so könnten erstere als eine Art 'Schwerkraftfalle' gewirkt haben. In diesen Dunkle-Materie-Fallen konnten sich die Wasserstoff- und Helium-Atome erheblich schneller ansammeln, als dies in einem Universum ohne dunkle Materie möglich ist. Aus dem konzentrierten Wasserstoff-Helium-Gas entstanden dann die Galaxien, die im Rahmen dieses Modells auf natürliche Weise in Halos aus dunkler Materie eingebettet sein sollten.
Bis heute ist die Natur der Dunklen Materie unklar. Planeten und gestorbene Sterne (kalte Weiße Zwerge, Pulsare und schwarze Löchern) sind sicher ein Teil von ihr. Massive Neutrinos könnten auch Dunkle Materie sein, wenn sie eine Masse haben (Laboruntersuchungen konnten bis jetzt diese Frage nicht beantworten). Die beliebtesten Kandidaten für die Dunkle Materie sind aber die sogenannten WIMPs (weakly interacting massive particles, schwach wechselwirkende massive Teilchen), in der Form von sogenannten ``Photinos'' oder ``Axionen''. Diese exotische Teilchen sind eine der Voraussagen der supersymmetrischen Feld-Theorie, eine der modernsten Theorie der theoretischen Physik. Allerdings keines dieser Teilchen wurde bislang im Labor gefunden.
Teilchenphysikern und Astronomen arbeiten heute zusammen, um eines
der größten Probleme der Wissenschaft zu lösen: voraus besteht
80-90% der Materie des Universums! Das Forschungsprogramms des
SFB 375 ``Astro-Teilchenphysik'' im Münchener Raum hat genau dieses
Ziel. Mit der Physik-Abteilung der LMU und der TU und dem Max Plank
Institut fër Astrophysik sind wir am diesen Projekt aktiv beteiligt.