Galaxienhaufen sind die größten gravitativ gebundenen Einheiten im
Universum. In einem Volumen von wenigen Millionen Lichtjahren Durchmesser
befinden sich Hunderte von Galaxien in einem gemeinsamen Gravitationsfeld
(Abb. Herkules, Coma,
Abell 370 und Abell 370 mit HST). Die
)
reichsten Haufen enthalten sogar mehr als tausend Galaxien.
Zusammenschlüsse von nur drei bis einigen Dutzend Galaxien dagegen
bezeichnet man als Gruppen, während Feldgalaxien wiederum einzelne
Galaxien sind, deren Nachbarn mehr als eine Million Lichtjahre entfernt
sind. Ein Galaxienhaufen besteht aber nicht nur aus den sichtbaren Galaxien,
sondern enthält ebensoviel Masse in dünnem Gas, das den ganzen Haufen
durchdringt, dem sogenannten Haufenmedium. Dieses Gas ist so heiß (1-10
Millionen Grad), daß es Röntgenstrahlung aussendet, die so intensiv
)
ist, daß schon der erste Röntgen-Satellit (UHURU) Galaxienhaufen als
Röntgenquellen entdeckte (Abb.
Coma im
Röntgenlicht). Aber selbst alle Galaxien zusammen und das
ganze Haufengas machen nur ca. 20% der Gesamtmasse eines Haufens aus. Somit
besteht der überwiegende Teil der gravitativ gebundenen Masse aus der
sogenannten Dunklen Materie, über deren physikalischen
Natur noch so gut wie nichts bekannt ist.
Die Milchstraße gehört zusammen mit unserer
Nachbargalaxie Andromeda und ein paar kleinen
Zwerggalaxien zur Lokalen Gruppe. Der uns am
nächsten gelegene Galaxienhaufen befindet sich im Sternbild
)
Virgo (RA(2000): 12h 30.8m DEK(2000): +12o 23'),
der sich durch seine Nähe (ca. 23 Mpc, entsprechend ca. 70 Millionen
Lichtjahren) aber über ein großes Gesichtsfeld erstreckt. Für
Beobachtungen mit Amateurteleskopen ist deshalb wohl der
Herkules-Haufen (Entfernung ca. 215 Mpc), der viele
Spiralgalaxien enthält, eindrucksvoller. Ein sehr reicher Galaxienhaufen
ist der Coma-Haufen im Sternbild Coma Berenices
(Entfernung ca. 140 Mpc), der auch wissenschaftlich sehr gründlich
untersucht ist und oft als Vergleichsobjekt dient. Wie bei den meisten
anderen Haufen sind die Mehrzahl der Galaxien im Coma-Haufen große
Elliptische Galaxien und
elliptische Zwerggalaxien. Das Zentrum vieler reicher
Haufen wird von einer riesengroßen, elliptischen
cD-Galaxie beherrscht (in Coma gibt
es sogar zwei). Der
)
Anteil an Spiralgalaxien und
Irregulären Galaxien, die eher in den äußeren
Bereichen eines Haufens zu finden sind, ist gering. Im Gegensatz dazu sind
die meisten Gruppen- und Feldgalaxien Spiralgalaxien, weshalb die
Umgebungsdichte (Anzahl Galaxien pro Volumeneinheit) ein entscheidender
Faktor bei der Ausbildung eines bestimmten morphologischen Galaxientyps sein
muß; man spricht von der Morphologie-Dichte-Relation. So vermutet man,
daß bei der Entstehung eines Haufens aufgrund der hohen Dichte viele
Galaxien miteinander zusammenstoßen und verschmelzen
(merging), wobei meist eine Elliptische Galaxie entsteht.
Dagegen bleibt die scheibenförmige Struktur mit ihren Spiralarmen in
Feldgalaxien über einen langen Zeitraum hinweg erhalten.
Aufgrund ihrer hohen Galaxiendichte, der großen Leuchtkraft der cD-Galaxien und ihrer Röntgenstrahlung können Galaxienhaufen bis zu sehr weiten Entfernungen gefunden werden. Bei großen Entfernungen rechnet man nicht mehr in Parsec oder Lichtjahren, sondern man gibt die Rotverschiebung (z) eines Objekts als Maß für die Entfernung an (der Coma-Haufen hat z=0.023). Bei diesen großen Entfernungen müssen kosmologische Modelle, die auf Einsteins Relativitätstheorie basieren, in physikalischen Berechnungen verwendet werden. Die entferntesten Galaxienhaufen, die man im optischen und/oder Röntgen-Licht bisher gefunden hat, liegen bei Rotverschiebungen bis ca. z=1. Bei einigen Ansammlungen von Galaxien bei z=2 ist noch nicht erwiesen, ob es sich dabei um gravitativ gebundene Haufen handelt. Doch sind Beobachtungen hochrotverschobener Haufen wichtige Bedingungen an kosmologische Weltmodelle, die die Entstehung der Strukturen im Universum erklären wollen. Deshalb gibt es an der Universitätssternwarte München ein Projekt, in dem nach Haufen bei z größer 1 gesucht wird. Da bei diesen Rotverschiebungen die elliptischen Galaxien eines Haufens den größten Teil ihrer Energie im Nahinfrarot-Licht ausstrahlen, findet diese Suche mit modernen Nahinfrarot-Kameras statt.
Doch schon bei mittleren Rotverschiebungen ist das Licht einer Galaxie so
lange zu uns ,,unterwegs``, daß wir einen viel jüngeren Zustand
beobachten als bei Galaxien in unserer Nähe. Eine Rotverschiebung von
z=0.4 entspricht beispielsweise einer Rückblickzeit von ca. 4 Milliarden
Jahren oder etwa einem Drittel des Alters des Universums. Durch
Beobachtungen von Galaxienhaufen bis zu mittleren Rotverschiebungen können
wir deshalb die Entwicklung von Galaxien über einen sehr langen Zeitraum
hinweg erforschen. So werden in einem anderen Projekt in München die
Entstehung und Entwicklung Elliptischer Galaxien in Haufen untersucht
(Evolution). Dazu wurden einige Elliptische Galaxien
in drei verschiedenen Haufen bei z=0.37 mit den größten Teleskopen am
)
deutsch-spanischen Observatorium Calar Alto und dem europäischen
Observatorium La Silla in Chile spektroskopiert (Abb.
Spektrum einer Galaxie). Um
genaue Informationen über
das Aussehen dieser aufgrund ihrer großen Entfernung sehr lichtschwachen
Galaxien zu erhalten, wurden die drei Haufen auch mit dem
Hubble-Weltraumteleskop beobachtet (Abb.
Abell 370 mit HST).
Aber auch die Haufen als Gesamtobjekt unterliegen einer zeitlichen
Entwicklung. So zeigen viele Haufen im Röntgenlicht Unterstrukturen, d.h.
es sind deutlich zwei oder mehr Komponenten zu erkennen. Dies bedeutet,
daß diese Haufen noch gar nicht voll ausgebildet sind, sondern noch
verschiedene Teile miteinander verschmelzen. Desweiteren ändert sich die
morphologische Zusammensetzung der Galaxien in einem Haufen. So beobachtet
man in Galaxienhaufen bei mittleren Rotverschiebungen einen viel höheren
Anteil an Spiralgalaxien, Irregulären und
)
zusammenstoßenden Galaxien
als bei kleinen Rotverschiebungen. Man
vermutet, daß durch Wechselwirkungen mit anderen Galaxien und dem
Haufenmedium ein Galaxientyp im Laufe der Zeit sich in einen anderen Typ
umwandeln kann. Um diese Phänomene als Funktion der Zeit zu erforschen,
wurden in einem dritten Projekt zahlreiche Galaxienhaufen bei vielen
verschiedenen Rotverschiebungen beobachtet.
Die große Massenansammlung auf relativ kleinem Raum eines
Galaxienhaufens bei mittleren Rotverschiebungen wirkt als
Gravitationslinse auf Galaxien und Quasare, die sich im
Hintergrund des Haufens befinden. So beobachtet man häufig große und
kleinere Lichtbögen in und um Haufen, die das gravitativ verzerrte Abbild
eines bei hoher Rotverschiebung liegenden Objekts darstellen
Dieses Phänomen kann wiederum auch zur
Massenbestimmung eines Haufens verwendet werden.