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Universitäts-Sternwarte München


Fakultät für Physik der Ludwig-Maximilians-Universität

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Geschichte der Sternwarte

Rollwagen – Sonnenfinsternisexpeditionen

Die wissenschaftlichen Großereignisse für die Sternwarte Bogenhausen in jener Zeit waren aber ohne Zweifel die von Schmeidler organisierten drei Sonnenfinsternisexpeditionen, bei denen mit Methoden der klassischen Astronomie revolutionäre Ansichten zum Aufbau des Universums überprüft werden konnten, indem man die relativistische Lichtablenkung durch das Schwerefeld der Sonne zu bestimmen versuchte. Die Idee, dass Licht durch Masse abgelenkt werden könnte, war nicht neu. Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte Newton die Meinung vertreten, dass Lichtteilchen wohl durch die Gravitation in derselben Weise beeinflusst würden, wie herkömmliche Materie. Die ersten Berechnungen hierzu waren 1804 von Soldner publiziert worden. Angewandt auf den damals massereichsten bekannten Himmelskörper, die Sonne, ergab sich, dass die Lichtstrahlen eines fernen Sterns in deren Gravitationsfeld eine Ablenkung von 0.″84 am Sonnenrand erleiden müssten.

Anfang des 20. Jahrhunderts hatte dann Einstein seine Allgemeine Relativitätstheorie entwickelt, in deren Rahmen er 1916 eine Ablenkung von 1.″75 vorhersagte. Dieser Wert war etwa doppelt so groß wie Soldners Ergebnis, das Einstein allerdings nicht bekannt war. Da während einer totalen Sonnenfinsternis die in der Sonnenumgebung sichtbar werdenden Sterne photographiert und ihre Positionen mit denen auf einer entsprechenden ungestörten Nachtaufnahme verglichen werden können, sollte eine Entscheidung zwischen Newton und Einstein möglich sein. Die erste Gelegenheit hierzu bot sich bei der totalen Finsternis vom 29. Mai 1919, zu deren Beobachtung der britische Astrophysiker Sir Arthur Stanley Eddington (1882–1944), ein glühender Anhänger der Allgemeine Relativitätstheorie, zwei Expeditionen organisierte. Die eine, die er selbst leitete, führte auf die Vulkaninsel Príncipe im Golf von Guinea (Westafrika), die andere nach Sobral im nordbrasilianischen Bundesstaat Ceará. Die Ergebnisse der Kampagne waren allerdings nicht gerade überzeugend, denn sie ergaben unterschiedliche Ablenkungswerte von 1.″61 ± 0.″40 und 1.″98 ± 0.″16. Dennoch wurde das Resultat von Eddington als Bestätigung von Einsteins Theorie gewertet und, obwohl der Vorwurf der Manipulation im Raum stand, von der wissenschaftlichen Gemeinschaft angenommen. Die Angelegenheit erregte seinerzeit derart großes Aufsehen, dass Einstein über Nacht weltberühmt wurde.

Da alle folgenden zwölf Expeditionen Einsteins Vorhersage zwar ihrer Größenordnung nach, aber nicht mit ihrem genauen numerischen Wert bestätigt hatten, bedurfte es zur endgültigen Entscheidung noch weiterer Messungen. Man fasste daher Anfang 1958 an der Sternwarte in Bogenhausen den Plan einer Expedition zur Beobachtung der totalen Sonnenfinsternis vom 2. Oktober 1959. Unter fast völliger Ignorierung der Verkehrsschwierigkeiten wurde als optimaler Beobachtungsort ein Gebiet in der südlichen Sahara, ca. 500 km nordöstlich von Timbuktu (ca. 50 km nordwestlich der Oase Kidal) gewählt, das mehrheitlich von Tuareg bewohnt wurde. Expeditionsleiter Schmeidler ließ nach seinen Plänen in der sternwarteigenen Werkstätte ein Spezialteleskop bauen und die hierzu erforderlichen Linsen teilweise eigens herstellen. Das deutsche Konsulat in Dakar unterstützte das Vorhaben im logistischen Bereich und knüpfte die Verbindungen zur militärischen und zivilen Verwaltung im damaligen Französisch-Sudan (heute République du Mali).

[Expeditionsinstrument im Park der Sternwarte]

Das von Schmeidler konzipierte und in der sternwarteigenen Werkstatt gebaute Expeditionsinstrument im Park der Sternwarte mit (von links) Petri, Schmeidler und Werkmeister Körner.

[Karte der Spur des Kernschattens][Detailkarte des Beobachtungsortes]

Die Spur des Kernschattens der Sonnenfinsternis vom 2. Oktober 1959. Die Karte rechts gibt die genaue Lage des Beobachtungsortes in der südlichen Sahara in der Nähe der Oasenstadt Kidal an.

Am 13. September 1959 startete die Expedition, der neben Felix Schmeidler auch Winfried Petri, Werkmeister Körner und ein Amateurastronom angehörten, vom Flughafen München-Riem und erreichte am nächsten Tag Gao am Niger. Von dort ging es nach einigen Tagen Aufenthalt, die der weiteren Vorbereitung des Unternehmens dienten, mit Geländewagen der französischen Armee und unter dem Geleitschutz von sechs Soldaten weiter zum Beobachtungsort am Schnittpunkt der Piste Kidal–Tessalit mit dem Totalitätsstreifen. Am Nachmittag des 20. September 1959 wurde dieser erreicht und sofort mit der Errichtung eines Zeltlagers begonnen. Schon am folgenden Tag baute man das Fundament für das Teleskop und begann mit der Installation des Instruments, das bis zum Beginn des großen Ereignisses noch ausgiebig justiert und getestet wurde. Die Verfinsterung konnte dann bei völlig wolkenlosem Himmel verfolgt und dabei neben anderen Aktivitäten während der dreiminütigen Totalität auch eine photographische Aufnahme des fraglichen Himmelsareals erhalten werden. Es fiel dabei auf, dass die Himmelshelligkeit während der Bedeckung nicht so stark zurückging, wie man es bei perfekten Bedingungen erwarten sollte. Tatsächlich stellte sich später heraus, dass erhebliches atmosphärisches Streulicht zu einer starken Verschleierung der photographischen Platte geführt hatte, die die schwächeren Sterne völlig überdeckte. Vermutlich hatten in den Tagen vor der Finsternis in größerer Entfernung vom Beobachtungsort Sandstürme geherrscht, die die obere Atmosphäre mit Sandkörnern angereichert hatten.

[Schmeidler erklärt die Funktionsweise des Universals]

Bei den letzten Expeditionsvorbereitungen in der Regionalstadt Gao erklärt Schmeidler französischen Offizieren und der Vertreterin der deutschen Botschaft in Dakar die Funktion des kleinen Universals, das er zur Ortsbestimmung mit sich führte.

[Geländewagen der französischen Armee]

Die Strecke zwischen Gao und dem Beobachtungsort wurde unter dem Schutz französischer Soldaten mit Militärfahrzeugen zurückgelegt.

[Aufbau des Expeditionsteleskops][Aufbau des Expeditionsteleskops][Aufbau des Expeditionsteleskops]

Mit Hilfe auch einheimischer Arbeitskräfte nimmt das Expeditionsteleskop unter den kritischen Augen Schmeidlers allmählich seine funktionsfähige Gestalt an.

[Winfried Petri am Expeditionsteleskop]

Winfried Petri bei Vorbereitungen der photographischen Aufnahme des Gebietes rings um die Sonne.

[Sonnenkorona während der Totalität]

Die Sonnenkorona während der Totalität.

Expeditionsleiter Schmeidler musste wegen anderer Verpflichtungen schon wenige Stunden nach der Finsternis den Beobachtungsort verlassen und mit dem nächsten Flugzeug nach Europa reisen. Die übrigen Expeditionsteilnehmer erreichten mit einem Schiff auf dem Niger Koulikoro, von dort mit der Eisenbahn Dakar und schließlich per Schiff Marseille. Nach der Ankunft in München Ende Oktober wurde mit der Auswertung der Platte begonnen. Da nur ein hellerer Stern (γ Virginis) auf dem Original erkennbar war, unternahm Schmeidler verschiedene Versuche, die Lichteindrücke schwächerer Sterne durch Kontrastverstärkung vom Schleier zu trennen. Dies gelang nach einigen erfolglosen Experimenten dann mittels der Herstellung von Kontaktkopien auf extrem harten Platten, die einige weitere Sterne sichtbar machten. Der Durchbruch gelang aber erst, als Methoden der elektronischen Kontrastverstärkung zur Anwendung kamen, so dass schließlich insgesamt elf Sterne der Analyse zur Verfügung standen. Im Frühjahr 1960 reiste Schmeidler dann ein zweites Mal nach Westafrika, um die erforderlichen nächtlichen Kontrollaufnahmen der fraglichen Himmelsgegend zu machen. Eigentlich hätte hierfür das Instrument ein halbes Jahr am gleichen Ort unberührt verbleiben sollen. Diese Vorsichtsmaßnahme hatte sich aber nicht durchführen lassen, da das Gebiet häufig von Nomaden besucht wurde. Das Expeditionsteleskop verbrachte daher in Kisten verpackt den Winter in der Deutschen Botschaft in Dakar. Aus organisatorischen und auch finanziellen Gründen wurde dieses Mal ein Beobachtungsort bei M’Bour ca. 80 km südöstlich von Dakar gewählt und unter idealen astronomischen Bedingungen konnten dann am 2. und 3. Mai 1960 Aufnahmen des Finsternisfeldes erhalten werden. Die sorgfältige Auswertung der Positionen der fraglichen elf Sterne ergab einen Ablenkungswert von 2.″17 ± 0.″34, also auch in diesem Falle einen größeren Betrag als von Einstein gefordert und noch schlechter als der von Eddington. Es ist schade, dass die Münchener Sonnenfinsternisexpedition 1959/60 trotz großer Anstrengungen infolge eines unglücklichen meteorologischen Zufalls nur einen halben wissenschaftlichen Erfolg erreichen konnte.

[Aufbau des Instruments für die Kontrollaufnahmen]

Das Expeditionsinstrument war vor einem besonders großen Affenbrotbaum bei M’Bour, ca. 80 km südöstlich von Dakar aufgebaut, als Schmeidler dort Anfang Mai 1960 die nächtlichen Kontrollaufnahmen des bei der Sonnenfinsternis betroffenen Areals machte.

[Graph der gemessenen Ablenkungen]

Die hieraus folgende Lichtablenkung der gemessenen elf Sterne als Funktion der Entfernung von der Sonnenmitte ist auf diesem Diagramm durch Punkte angegeben. Der theoretische Verlauf der Ablenkung ist gestrichelt eingezeichnet. Die Auswertung ergab einen Ablenkungswert am Sonnenrand von 2.″17 bei einer theoretischen Vorhersage von 1.″75.

Das ungelöste Problem ließ Schmeidler keine Ruhe. Er organisierte und leitete daher noch zwei weitere Sonnenfinsternisexpeditionen: Die eine führte zum Monte Cónero bei Ancona in Italien (15. Februar 1961) und die andere zum Großen Sklavensee im mittleren Norden Kanadas (20. Juli 1963). Beide Male wurde er wieder von Werkmeister Körner und einem Amateurastronomen begleitet. Auf dem leicht erreichbaren Monte Cónero hatten sich insgesamt dreizehn Beobachtungsgruppen eingefunden, die neben der aus München und einer aus Genf alle aus Italien stammten. Für Schmeidler war diese Expedition insoweit erfolgreich, dass trotz der wegen des tiefen Sonnenstandes (nur 15° über dem Horizont) aufgetretenen Refraktionsanomalien mit zwölf messbaren Sternen ein Ablenkungswert von 1.″98 ± 0.″46 bestimmt werden konnte. Da dieser Betrag aber wieder etwas zu hoch war, sollte die Kanada-Expedition endlich den Durchbruch bringen. Den Beobachtungsplatz auf einer kleinen Halbinsel am südwestlichen Ufer des Großen Sklavensees, dessen Name sich von einem dort siedelnden Indianerstamm (Slavey) ableitet, teilte sich Schmeidler mit dem vormaligen Sternwartangehörigen Rudolf Kühn und seiner Mannschaft, die das Ereignis im Auftrage des Bayerischen Rundfunks filmisch verfolgen sollten. Der Aufenthalt dort gestaltete sich wegen der Mücken- und Bärenplage ziemlich problematisch. Während dann am Morgen des fraglichen Tages nur leichte Zirrusbewölkung herrschte, verdichtete sich diese bis zur Totalität derart, dass die Absorption etwa drei Größenklassen betrug. Trotzdem nahm Schmeidler eine Platte auf, die aber, wie erwartet, keinen einzigen Stern erkennen ließ und daher diese Expedition, zumindest soweit die Messung der Lichtablenkung am Sonnenrand betroffen war, als gescheitert angesehen werden musste. Die Filmaufnahmen Kühns waren jedoch durch die widrigen meteorologischen Verhältnisse weniger affektiert.

[Expeditionsinstrument am Monte Cónero][Schmeidler im Kreise anderer Expeditionsteilnehmer]

Die totale Sonnenfinsternis vom 15. Februar 1961 verfolgte Schmeidler mit seinem Expeditionsinstrument auf dem Monte Cónero bei Ancona in Italien. Auch bei diesen Messungen war der errechnete Ablenkungswert größer als von Einstein vorhergesagt. Das Bild zeigt Felix Schmeidler (dritter von rechts) im Kreise einiger Mitglieder anderer Beobachtungsgruppen, die vornehmlich aus Italien stammten.

[Lager am Ufer des Großen Sklavensees][Expeditionsinstrument am Großen Sklavensee]

Seine letzte Sonnenfinsternisexpedition führte Schmeidler zur Beobachtung der Totalität vom 20. Juli 1963 an das Ufer des Großen Sklavensees im mittleren Norden Kanadas. Das Lager befand sich auf einer kleinen Halbinsel in der Nähe des Ortes Hay River. Das englisch montierte Bogenhausener Spezialteleskop (links das Leitrohr, rechts die eigentliche Kamera) war neben den Gerätschaften bayerischer Rundfunkleute aufgebaut, die das Spektakel filmten. Da während der Totalität starke Zirrusbewölkung herrschte, brachte diese Expedition leider kein verwertbares Ergebnis bezüglich der Lichtablenkung am Sonnenrand.

Durch die Bogenhausener Beobachtungen wurden daher zwar die Resultate früherer Expeditionen gestützt, Einsteins Wert konnte damit jedoch nicht in endgültig verbürgbarer Weise bestätigt werden. Es ist bis heute unklar, warum die bei einer Sonnenfinsternis ermittelten Ablenkungswinkel (Bereich: 1.″42.″7) in der Mehrzahl über dem von Einstein berechneten Wert lagen. Einstein selbst sah seinerzeit die Sache locker und wertete die Ergebnisse als Beweis für seine Theorie. Auf die Frage, was gewesen wäre, wenn die Messungen nicht nahe seiner Vorhersage gelegen hätten, soll er angeblich gesagt haben: Da könnt’ mir halt der liebe Gott leid tun. Erst mit auf Quasare angewandten Methoden der Radiointerferometrie und mit der Messung reflektierter Radarimpulse an Merkur gelang es dann ab den 1970er Jahren, den theoretischen Wert mit hoher Genauigkeit zu verifizieren.

Bildquellen:

Nr. 1–16: USM

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