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Universitäts-Sternwarte München


Fakultät für Physik der Ludwig-Maximilians-Universität

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Geschichte der Sternwarte

Seeliger – Tod

Das Vierteljahrhundert vor dem Ersten Weltkrieg war ohne Zweifel die astronomische Blütezeit der »alten« Sternwarte. Der berühmte Wissenschaftler Seeliger genoss aufgrund seiner astronomischen Forschungen nicht nur in Deutschland einen hervorragenden Ruf, er war auch ein ebenso anerkannter und geschätzter akademischer Lehrer, der mit seinen ungemein lebendigen und anregenden Vorlesungen, die durch Klarheit, Gründlichkeit und Vielseitigkeit ausgezeichnet waren, eine große Zahl von Schülern an sich band. Neben der spielerischen Beherrschung von Mathematik und klassischer Physik besaß Seeliger aber auch eine beinahe universelle Bildung und beschäftigte sich in seinen Mußestunden ernsthaft mit Philosophie, Geschichte, Medizin und Rechtswissenschaften. Es ist bekannt, dass er häufig mit Kollegen der juristischen Fakultät auf dem gemeinsamen Weg zu den Vorlesungen verzwickte Rechtsfälle diskutierte. Das Lesen von Kriminalromanen, die er in seiner Bibliothek hinter einem Vorhang versteckt hielt, brachte ihm ebenso Entspannung wie die Musik. Seeliger spielte ausgezeichnet Geige, wobei ihn seine Frau auf ihrem Flügel begleitete. Jahrzehntelang waren regelmäßig Mitglieder des Münchener Hoforchesters in seiner Villa zu Gast, um sich mit ihm der Kammermusik zu widmen.

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges am 1. August 1914 und der anfängliche Siegesjubel bedrückten Seeliger zutiefst. Er ahnte und fürchtete den Zusammenbruch der internationalen wissenschaftlichen Gemeinde und damit verbunden auch das Ende der Ideale von Toleranz und Freiheit. Die Anzahl der Mitarbeiter reduzierte sich durch Einberufungen und freiwillige Kriegsteilnahme immer mehr. Letztendlich waren dann neben Seeliger nur noch zwei Mitarbeiter vorhanden, die versuchten, den wissenschaftlichen Betrieb aufrecht zu erhalten. Eigentlich hatte Seeliger die Absicht gehabt, nach seinem 65. Geburtstag im September 1914 in den Ruhestand zu gehen, sah es jedoch als seine Pflicht an, die Sternwarte in diesen schweren Zeiten nicht ihrem Schicksal zu überlassen. Seeligers Ahnungen hatten sich bestätigt: Nach Ende des Krieges am 11. November 1918 kam es zu einer Umkehrung aller Werte, eine Revolution fegte die Monarchie hinweg und nach der Katastrophe des Krieges folgte die Katastrophe des Friedens. Da fast gleichzeitig der Akademiepräsident gestorben war, konnte der damalige Syndikus der Akademie, Karl Alexander v. Müller (1882–1964), erreichen, dass die Behörden der freien Wahl eines Präsidenten zustimmten. Müller schreibt: Auf diesen Grundlagen fand am 18. Januar 1919 die endgültige Wahlsitzung der Gesamtakademie statt; der Astronom Hugo von Seeliger ging aus ihr als erster, seit siebzig Jahren frei gewählter Präsident und Generaldirektor hervor: eine glänzende Wahl, die, glaube ich, keine der beteiligten Stellen je bedauert hat. Seeliger stellte sich, obwohl schon an der Grenze zum Greisenalter, in diesen schwierigen Zeiten mit großem Engagement der guten Sache zur Verfügung und bemühte sich, in Zusammenarbeit mit den Schwesterakademien in Berlin, Göttingen, Leipzig und Heidelberg der deutschen Wissenschaft die internationale Gleichberechtigung wieder zurückzugewinnen, die ihr von den Siegermächten im Geiste von Versailles aberkannt worden war. Daneben war Seeliger von 1883 bis 1896 Schriftführer der Astronomischen Gesellschaft und leitet sie anschließend als deren Vorsitzender bis 1921.

[Hugo v. Seeliger][Glückwünsche zum 70. Geburtstag]

Anlässlich seines 70. Geburtstages am 23. September 1919 kamen nochmals alle seine noch lebenden Schüler in Bogenhausen zusammen, um ihrem Lehrer dafür zu danken, dass er sie für Leben und Wissenschaft ausgebildet hatte. Dabei überreichten sie ihm ein Album mit den Porträts aller seiner Studenten und Mitarbeiter. Der Werdegang einer kleinen Auswahl seiner Schüler dokumentiert die damalige Breite der Ausbildung an der Sternwarte:

[Karl Schwarzschild][Richard Schorr][Ernst Zinner]

Karl Schwarzschild (1873–1916) (links) war einer der Wegbereiter der modernen Astrophysik. Nach seinem Weggang aus München wurde er 1901 Direktor der Sternwarte Göttingen und 1909 Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums in Potsdam. Richard Schorr (1867–1951) (Mitte) wurde 1902 Direktor der Sternwarte Hamburg-Bergedorf. Ernst Zinner (1886–1970) (rechts) leitete ab 1926 die Remeis-Sternwarte in Bamberg.

[Hans Kienle][Gustav Herglotz][Karl Oertel]

Hans Kienle (1895–1971) (links) wurde 1925 Direktor der Sternwarte Göttingen, 1939 Direktor des Astrophysikalischen Observatoriums in Potsdam und 1950 Direktor der Landessternwarte Heidelberg-Königstuhl. Gustav Herglotz (1881–1953) (Mitte) erhielt 1909 eine Professur für Mathematik in Leipzig und ab 1947 in Göttingen. Karl Oertel (1858–1949) (rechts) wurde 1907 Professor für Geodäsie und Astronomie an der Technischen Universität Hannover.

Der Krieg und die anschließenden schweren Zeiten hatten Seeliger stark zugesetzt. Er wusste, dass ihm der Tod im Nacken saß, da sein Herz schon seit längerer Zeit seinen Dienst nicht mehr richtig verrichtete und er immer schwächer wurde. Er war an seinem Lebensende eigentlich ein gebrochener Mann, der seinem Schüler Kienle anvertraute: Ich hatte mir meinen Lebensabend anders gedacht. Das Vermögen, das ich einst besaß, hätte es mir ermöglicht, mir in meiner schlesischen Heimat ein Haus zu bauen und dort in Ruhe meine Arbeiten abzuschließen. Ich hatte immer damit gerechnet, mich spätestens mit fünfundsechzig Jahren zurückzuziehen. Jetzt ist mein Vermögen vernichtet, meine Heimat ist den Tschechen ausgeliefert; nirgends ein Schimmer von Hoffnung. Sie sind ja noch jung und können vielleicht noch einmal den Aufstieg unseres Volkes erleben. Für uns Alte gibt es keine Hoffnung mehr: uns bleibt nichts anderes übrig, als auf unserem Posten auszuharren, bis der Tod uns abruft. Seeliger starb am 2. Dezember 1924. Sein Amt als Akademiepräsident hatte er schon zum 1. Januar 1924 niederlegen und am 30. Oktober 1924 schließlich bei der Fakultät um die Enthebung von seinen Vorlesungspflichten bitten müssen.

Seeliger fand seine letzte Ruhestätte im Bogenhausener Friedhof St. Georg, nur ein paar Meter von der Stelle entfernt, an der Lamont beerdigt worden war. Sein Grab ist heute noch vorhanden. Die Stadt München gab einer Straße in Bogenhausen seinen Namen und die Astronomen benannten einen Mondkrater mit etwa acht Kilometern Durchmesser nach ihm. Außerdem wurde dem am 31. Mai 1918 von Max Wolf (1863–1932) in Heidelberg entdeckten Asteroiden Nr. 892 der Name Seeligeria verliehen. Dieser kleine Planet besitzt einen Durchmesser von etwa 76 Kilometern und umkreist die Sonne in etwas weniger als sechs Jahren. Seeliger war Mitglied mehrerer Akademien und erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter 1902 das Ritterkreuz des Verdienstordens der Bayerischen Krone, das mit der Erhebung in den persönlichen Adelsstand verbunden war.

[Seeligers Grab][Nach Seeliger benannter Mondkrater]

Das Grab Seeligers auf dem Bogenhausener Friedhof ist heute noch vorhanden. Die International Astronomical Union benannte 1935 einen kleinen, schüsselförmigen, ca. 1800 Meter tiefen Einschlagskrater auf dem Mond nach ihm.

Die Teilnehmer seiner Beerdigung überkam das Gefühl, dass mit Seeliger eine ganze Epoche zu Grabe getragen wurde, denn die Entwicklung der modernen Astronomie war in gewisser Hinsicht schon seit einiger Zeit über ihn hinausgeschritten und hatte einen Weg eingeschlagen, auf dem andere die Führung übernahmen. Neue Protagonisten betraten die Bühne und übernahmen die Deutungshoheit oft unerwarteter Beobachtungsergebnisse. Ende 1915 war Albert Einstein (1879–1955) mit seiner revolutionären Allgemeinen Relativitätstheorie in die Öffentlichkeit gegangen, die eine völlig neue Interpretation von Raum und Zeit forderte. Da Seeliger wie viele seiner Zeitgenossen der Überzeugung war, dass das Gebäude der Physik vollendet sei, hatte er kein oder wenig Interesse an den modernen Entwicklungen wie Quantenphysik oder Relativitätstheorie. Eine anschauungslose Welt war für ihn, der sein ganzes Leben der Erforschung dessen gewidmet hat, was die Anschauung uns darbietet, daher ein Unding. Einstein interpretierte jedoch Raum und Zeit nicht als eine Bühne für das Weltgeschehen, sondern machte sie zu aktiven, schwer zu begreifenden Teilnehmern an der Dynamik des Universums. Nachdem mit neuen Methoden der Entfernungsbestimmung die Dimension der Milchstraße viel exakter bekannt geworden war, die Existenz von zahllosen weiteren Weltinseln (Galaxien) außerhalb der Milchstraße gesichert schien, der belgische Theologe und Astrophysiker Georges Edouard Lemaître (1894–1966) im Rahmen der Einsteinschen Theorie 1927 die Expansion des Weltalls postuliert hatte und der amerikanische Astronom Edwin Hubble (1889–1953) zwei Jahre später definitive Fluchtgeschwindigkeiten und Entfernungen von etwa 50 Galaxien publiziert hatte, war Seeligers Kosmos, das Hauptwerk seiner wissenschaftlichen Bemühungen, nur noch von historischem Interesse.

Bereits ein Jahr nach Seeligers Tod wurde auch seine Novatheorie völlig demontiert, als am 26. November 1925 die Astronomischen Nachrichten vom Direktor der argentinischen Nationalsternwarte La Plata, dem Deutschen Johannes Hartmann (1865–1936), per Telegramm mit lapidaren Worten über eine soeben gewonnene Erkenntnis informiert wurden: Nova-Problem gelöst. Stern bläht sich auf, zerplatzt. Wir wissen heute, dass das Aufleuchten einer Nova seine Ursache in der explosiven Kernfusion von Wasserstoff auf der Oberfläche eines Weißen Zwerges in einem sog. kataklysmischen Doppelsternsystem hat. Das Phänomen wurde von Hartmann aufgrund seiner spektroskopischen Beobachtungen der Nova Pictoris des Jahres 1925, wenn auch nur dem Prinzip nach, richtig interpretiert. Auch andere Erkenntnisse Seeligers verloren ebenso im Laufe der Zeit in einer sich rasch neu orientierenden Wissenschaftslandschaft ihren ehemaligen Stellenwert.

[Ausschnitt aus den Astronomischen Nachrichten]

Der deutsche Astronom Johannes Hartmann war von 1921 bis 1934 Direktor der argentinischen Nationalsternwarte La Plata. Dort beschäftigte er sich hauptsächlich mit Sternspektroskopie und machte damit seine richtungsweisende Entdeckung zum Nova-Phänomen.

Bildquellen:

Nr. 2–9, 11: USM
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