Sterne und Weltraum SPECIAL Nr. 2: Schöpfung ohne Ende - Die Geburt des Kosmos - November 1997

Galaxien in der Tiefe der Zeit - Von Ralf Bender, Ulrich Hopp und Roberto P. Saglia

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Die Kleine Magellansche Wolke ist eine irreguläre Zwerggalaxie (Amateuraufnahme von Michael Breite). Links im Bild der weniger weit entfernte Kugelsternhaufen 47 Tucanae, der zu unserer Milchstraße gehört.

Bisweilen kollidieren solche Zwerggalaxien mit ihren größeren Artgenossen. Sprechen die Astronomen bei den Zusammenstößen etwa gleichgroßer Galaxien von Verschmelzung, so haben sie für den Vorgang, bei dem eine Zwerggalaxie ihr Dasein im Gravitationsfeld einer Ellipse oder Spirale beendet, das Wort Kannibalismus gewählt (Bild Seite 14 unten). Daß unsere Milchstraße sich gerade eine Zwerggalaxie, den »Sagittarius-Zwerg&laqno;, einverleibt hat, wurde erst vor drei Jahren durch Zufall entdeckt!

Schon vor einiger Zeit merkte man, daß die Zwerggalaxien die Astronomen noch auf andere Art genarrt hatten: Daß in den Galaxienkatalogen nur wenige von ihnen zu finden sind, ist irreführend. Weil sie so wenig Licht aussenden und so klein sind, wurden sie bis vor wenigen Jahren überhaupt nur in unserer näheren kosmischen Umgebung entdeckt.

Versucht man, alle Galaxien in einem begrenzten Volumen vollständig zu erfassen, so stellt man fest, daß Zwerggalaxien die absolut häufigsten Galaxien sind. Es gibt ungefähr zehnmal so viele Zwerge wie große Galaxien. In den uns nächsten Galaxienhaufen, den Haufen in den Sternbildern Fornax und Virgo (Bilder auf den Seiten 11 und 14), haben die Forscher auf Aufnahmen, die sehr schwache Objekte zeigen, jeweils mehr als tausend Zwerge, aber nur ungefähr hundert große Galaxien gefunden.

Bei den Zwerggalaxien unterscheiden die Astrophysiker zwei Typen: irreguläre Zwerggalaxien und Zwergellipsen. Erstere findet man vorwiegend fernab der Galaxienhaufen. Sie zeigen auf optischen Aufnahmen eine unregelmäßige Struktur und sind reich an interstellarer Materie. Aber im Gegensatz zu den Spiralen sind bei ihnen die leuchtenden Sternentstehungsgebiete regellos verteilt (Bild unten).

Die in den Haufen gefundenen Zwerggalaxien sind vorwiegend Zwergellipsen. Ähnlich wie die dort ebenfalls häufigen größeren Sternsysteme, elliptische und S0-Galaxien, enthalten sie kaum Gas und bilden so gut wie keine neuen Sterne mehr. Daher weisen die Zwergellipsen eine gleichmäßige, relativ unauffällige Sternverteilung auf.

Interessanterweise gleichen sich irreguläre Zwerggalaxien und Zwergellipsen in der Verteilung ihrer alten Sterne. Entfernt man im Computer aus den Bildern von irregulären Galaxien die Sternentstehungsregionen, so sieht das Resultat den Zwergellipsen sehr ähnlich. Dies hat zu der Spekulation geführt, daß zumindest einige der Zwergellipsen aus Irregulären entstanden sein könnten, nachdem diese ihr Gas verbraucht oder durch Wechselwirkungen mit anderen Galaxien in den Haufen verloren hatten.

Zeitreise fast bis zum Urknall

Die Astronomen sind Glückspilze! Während zum Beispiel Biologen mühsam nach fossilen Spuren vergangener Tierarten graben müssen, haben die Galaxienforscher die kosmische Geschichte direkt vor ihren Augen. Schauen sie mit ihren Riesenteleskopen in die Weiten des Weltraums, so sehen sie im Vordergrund das Universum in seinem heutigen Zustand: Spiral- und S0-Galaxien, Ellipsen und irreguläre Galaxien. Dahinter erstreckt sich die kosmische Vergangenheit: Welteninseln in einer gegebenen Anzahl von Milliarden Lichtjahren Entfernung sehen wir in ihrem ebenso viele Milliarden Jahre in der Zeit zurückliegenden Entwicklungszustand.

Diese Art von astronomischer Zeitreise liefert direkte Erkenntnisse über die früheren Entwicklungsphasen des Universums, die bis auf wenige Milliarden Jahre an den Urknall heranreichen. Aber die im folgenden beschriebenen Ergebnisse sind noch nicht als endgültig anzusehen, denn die Untersuchungen stehen erst am Anfang: Die Beobachtungen von Objekten in vielen Milliarden Lichtjahren Entfernung leiden häufig genug an Lichtmangel, der erst behoben sein wird, wenn in den kommenden Jahren die neue Generation von Großteleskopen, zu der zum Beispiel das aus vier 8-Meter-Spiegeln bestehende Very Large Telescope bei der ESO gehört, ihre Arbeit aufgenommen haben wird (Bild Seite 18).

Denn leider reicht es nicht aus, den Himmel lediglich zu photographieren, um zu wissen, wie weit man tatsächlich in die Vergangenheit schaut. Eine Galaxie kann auf einer Aufnahme aus zwei Gründen schwach erscheinen: Entweder ist sie weit entfernt oder sie enthält nur


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