Dirk Husfeld

Oktober 1997

Universitätssternwarte München
Institut für Astronomie und Astrophysik der
Ludwig-Maximilians-Universität München
Astrophysikalisches Praktikum
Doppelsterne
Dirk Husfeld, 08.10.1997

1  Einführung

Die große Bedeutung von Doppelsternen in der Astrophysik beruht auf der Möglichkeit, aus der Kenntnis der Bahnparameter eines Doppelsternsystems durch Anwendung des Gravitationsgesetzes die Massen der beiden Komponenten zu ermitteln. Durch Vergleich der so bestimmten Massen mit den entsprechenden Sternparametern wurde so zum Beispiel empirisch die Masse-Leuchtkraft-Beziehung für Hauptreihensterne gefunden.

Es erhebt sich aber die Frage, wie die Bahnparameter eines Doppelsternsystems bestimmt werden können. Je nach Beobachtungsmöglichkeit unterscheidet man vier Typen von Doppelsternen.

Visuelle Doppelsterne:
In diesen Systemen sind beide Sternkomponenten getrennt voneinander im Teleskop sichtbar. Daher lassen sich die beiden scheinbaren Bahnen auch einzeln vermessen. Bei bekannter Entfernung sind absolute Längen bestimmbar.

Spektroskopische Doppelsterne:
Dieser Typ zeigt seine Doppelsternnatur in spektroskopischen Aufnahmen. In Spektrogrammen geringer Auflösung lassen sich gelegentlich die spektroskopischen Merkmale zweier Spektraltypen ausmachen (sog. spektrale Duplizität), die Annahme gravitativer Kopplung erfolgt dann aufgrund statistischer Gesichtspunkte. Aufschlußreicher für eine quantitative Auswertung sind hochauflösende Spektrogramme, in denen eine Wellenlängenverschiebung der Spektrallinien einer oder beider Sternkomponenten durch den Dopplereffekt sichtbar ist. Bei Vorliegen einer Serie von Spektrogrammen zu verschiedenen Phasen des Doppelsternumlaufs läßt sich die Radialgeschwindigkeitskurve, kurz RGK erstellen, das heißt, die graphische Darstellung der Geschwindigkeitskomponenten entlang des Sehstrahles über der Phase des Doppelsternumlaufs. Wenn die Radialgeschwindigkeiten beider Doppelsternkomponenten sichtbar sind, kann das Massenverhältnis der beiden Sterne bestimmt werden. Außerdem liefert die Integration der RGK Information über die absoluten Abmessungen des Systems.

Photometrische Doppelsterne:
Bei diesen Sternen kommt es bei geeignetem Inklinationswinkel zu teilweisen oder vollständigen wechselseitigen Bedeckungen der Sternkomponenten, die sich durch Helligkeitseinbrüche bei photometrischen Beobachtungen bemerkbar machen. Diese Sterne werden deshalb auch Bedeckungsveränderliche genannt. Das primäre Beobachtungsergebnis bei solchen Sternen ist die Lichtkurve, also die graphische Darstellung der Sternhelligkeit über der Phase des Doppelsternumlaufs. Die wichtigsten daraus ableitbaren Parameter sind - neben der Periode des Bahnumlaufs - der Inklinationswinkel und die Sternradien relativ zum Bahnradius.
Astrometrische Doppelsterne:
Dieser Typ wird bei der Astrometrie gefunden, d.h. bei der genauen Messung der Sternkoordinaten. Sie zeigen regelmäßige Schwankungen ihrer Himmelsposition, die durch einen Doppelsternorbit erklärt werden. Dabei kann eine Komponente zu lichtschwach sein, um beobachtbar zu sein; dann entspricht die beobachtete Bewegung dem Bahnumlauf eines Sterns und kann prinzipiell ähnlich dem Orbit eines visuellen Doppelsterns analysiert werden. Ein nicht seltener Fall ist aber auch, daß beide Doppelsternkomponenten zum beobachteten Licht beitragen, aber zu eng benachbart sind und deshalb im Teleskop nicht getrennt werden können. Die beobachtete Bewegung ist dann die des Lichtschwerpunktes und liefert außer der Bahnperiode keine anderen Parameter.

Nicht zu verwechseln mit den oben genannten Typen sind die optischen Doppelsterne. Darunter werden zwei Sterne verstanden, die von der Erde aus betrachtet zufällig eng benachbarte Sehstrahlen haben. Sie stellen im physikalischen Sinne gar kein Paar dar, weil sie nicht gravitativ aneinander gebunden sind.

Eine andere Typeinteilung von Doppelsternen ergibt sich aus ihrem Aufbau, insbesondere der Größe der Einzelkomponenten im Verhältnis zu ihrem Abstand. Dazu sei zunächst der Begriff der Roche-Flächen eingeführt. Es handelt sich dabei um Äquipotentialflächen in einem Potential, das sich aus den Schwerkrafteinflüßen der beiden Sternen sowie aus der Fliehkraft im mitrotierenden Koordinatensystem ergibt. Die Fläche des niedrigsten Potentials, die beide Sterne umfaßt, wird als innere Roche-Fläche bezeichnet. Für geringere potentielle Energien gehört ein Testteilchen eindeutig zu einem der beiden Sterne, für höhere Energien nur noch zu beiden Sterne gemeinsam oder gar nicht mehr zum System. Die äußere Roche-Fläche entspricht der Äquipotentialfläche, bei der ein Testteilchen gerade noch gebunden ist. Im Querschnitt entlang der Verbindungslinie zwischen den beiden Sternen hat die innere Roche-Fläche eine achtförmige Gestalt, die äußere die einer Erdnuß. Siehe dazu auch Abb.1.

Aufgrund ihrer Gestalt definiert die innere Roche-Fläche zwei Volumina, die von ihr umschlossen werden. Diese Roche-Volumina enthalten je eine Sternkomponente. Es sind nun drei Fälle möglich:

Getrennte Systeme:
Beide Sternkomponenten sind kleiner als ihre jeweiligen Roche-Volumina, ihre Oberflächen berühren die innere Roche-Fläche nicht. In fast allen Fällen sind die Sterne deutlich kleiner als ihr Roche-Volumen, und man kann in guter Näherung von einer kugelförmigen Sterngestalt ausgehen.
Halbgetrennte Systeme:
Einer der beiden Sterne füllt sein Roche-Volumen aus, während der andere dieses nicht tut. Da das Roche-Volumen keine Kugelgestalt besitzt, ist auch der erstgenannte Stern nicht kugelförmig. Eine solche Konfiguration entsteht in der Regel dann, wenn sich dieser Stern in einem Riesenstadium seiner Entwicklung befindet. Da die Aufblähung des Sterns nicht endet, wenn die Oberfläche die Roche-Fläche erreicht, wird Materie durch den inneren Lagrangepunkt L1 auf den Begleitstern überströmen.
Kontaktsysteme:
Beide Sterne füllen ihr jeweiliges Roche-Volumen aus. Bei weiterer Ausdehnung können die Oberflächenschichten nur in den Raum jenseits der inneren Roche-Fläche ausweichen. Solange sie dabei nicht die äußere Roche-Fläche überschreitet, bleibt diese Materie aber als gemeinsame Hülle (common envelope) beider Sterne dem System erhalten. Die Dicke dieser Hülle wird üblicherweise durch den fillout factor f ausgedrückt, der definiert ist durch
f = Winner-W
Winner-Wouter
.
Dabei sind W, Winner und Wouter die Potentiale der Hüllenoberfläche, der inneren und der äußeren Roche-Fläche. Ein typischer Wert für den fillout beträgt f = 0.17.

Die Unterschiede zwischen den genannten Typen machen sich hauptsächlich in der Lichtkurve bemerkbar. Aufgrund der Form der Lichtkurve werden drei Arten von Bedeckungsveränderlichen unterschieden.

Algol-Variable:
Die Lichtkurve zeigt keine oder nur eine geringe Variation der Helligkeit zwischen den Minima. Die Minima sind scharf begrenzt, die Kontaktpunkte gut definiert. Solch eine Lichtkurve wird typischerweise von einem getrennten System hervorgerufen. Es sei aber nicht verschwiegen, daß der Prototyp Algol (b Persei) selbst ein halbgetrenntes System ist.
b Lyrae-Variable:
Die Lichtkurve zeigt eine deutliche Helligkeitsvariation zwischen den Minima, die durch die asphärische Form der einen Sternkomponente in einem halbgetrennten System hervorgerufen wird. Die Minima sind weniger scharf begrenzt als bei Algol-Variablen.
W UMa-Variable:
Die Lichtkurve zeigt keine Abschnitte (nahezu) konstanter Helligkeit mehr, die Minima sind ungefähr gleich tief, das Nebenminimum tritt immer bei Phase 0.5 auf. Es handelt sich hierbei um Kontaktsysteme.

Eine Gegenüberstellung von Konfiguration und resultierender Lichtkurve zeigt Abb.2.

2  Auswertung der Beobachtungen

Dieser Abschnitt beschreibt die Auswertung der mit dem Väisälä-Spiegel gemachten Beobachtungen eines Bedeckungsveränderlichen. Dazu gehört die Standardreduktion der CCD-Aufnahmen, die Vermessung der Sterne auf den CCD-Aufnahmen zur Bestimmung der Helligkeiten, die Erstellung der Lichtkurve aus den eigenen Daten und der Vergleich mit Daten aus der Literatur, sowie schließlich die Bestimmung der Bahn- und Sternparameter mit Hilfe eines Simulationsprogramms.

2.1  Datenreduktion

Die CCD-Aufnahmen sind um dark current, bias und flat-field entsprechend der Anleitung ``Beobachtungen mit der CCD-Kamera'' zu korrigieren. Aus den korrigierten Bildern sind dann mittels des MIDAS-Befehls magn/cir die Helligkeiten des untersuchten Bedeckungsveränderlichen und einiger Vergleichssterne zu ermitteln. (Von einer der CCD-Aufnahmen sollte ein Bildschirmausdruck angefertigt und darauf der untersuchte Stern und die Vergleichssterne markiert werden.) Eine Einführung in MIDAS ist ebenfalls in der oben erwähnten Anleitung zu finden. Bei der Benutzung des magn/cir ist darauf zu achten, daß die Apertur (innerhalb derer die Sternhelligkeit integriert wird) gross genug gewählt wird, um auch die Streulichtflügel des Sternprofils zu erfassen. Andererseits darf die Apertur auch nicht so groß sein, daß andere Sterne mit erfaßt werden.

Der magn/cir-Befehl liefert direkt Helligkeitsangaben in Magnituden. In jeder CCD-Aufnahme ist für jeden Vergleichsstern die Differenz Dmi = m - mi zu bilden, wobei m die Magnitude des Veränderlichen und mi die des i-ten Vergleichsstern ist. Zwischen Magnituden m und Strahlungsflüßen F kann mittels

m = -2.5 log10 F
umgerechnet werden. Aus dem Vergleich der verschiedenen Dmi-Serien kann auf die Genauigkeit der Einzelwerte geschlossen werden.

Zur Erstellung der Lichtkurve müssen die Beobachtungszeitpunkte der CCD-Aufnahmen auf die Phase des Bedeckungsveränderlichen umgerechnet werden. Dazu sind die Zeitpunkte zunächst von Mitteleuropäischer (Sommer-)Zeit in Julianische Tage zu transformieren. Eine Anleitung dafür findet sich in Anhang I. Anschließend wird anhand der Epoche eines beobachteten Hauptminimums und der Periode des Veränderlichen auf die Phase umgerechnet.

AB And:
Für diesen Stern findet sich in der Literatur eine Reihe verschiedener Angaben. Nach Maupomé et al (1991) beträgt die Epoche des Minimums Tmin = JD 2440128.7945 und die Periode P = 0.33189114 d. Bei Demircan et al (1994) finden sich Tmin = JD 2448884.4315 und P = 0.33189121 d. Ebenfalls von Demircan et al (1994) stammt folgende nichtlineare Formel für die Zeiten des Hauptminimums:
Tmin = JD 2425497.4805 + 0.3318890 ×E + 0.0580 ×sin( 0.00006491 E - 3.115629 ).
(Dabei ist E die Zahl der seit der Stammepoche verstrichenen Perioden.) Zur Einschätzung dieser Angaben sollen für einen Beobachtungszeitpunkt die Phasen nach diesen drei Angaben berechnet und miteinander verglichen werden. Welchen Schluß muß man daraus für eigene Beobachtungen ziehen? Bei der endgültigen Erstellung der Lichtkurve ist die letztgenannte, nichtlineare Formel zu verwenden.
44i Boo:
Die Umlaufszeit dieses Doppelsterns (der zusammen mit einer helleren und massereicheren Komponente das visuelle Mehrfachsystem ADS 9494 bildet) wächst kontinuierlich an (Oprescu et al, 1996, IBVS No.4307). Von Oprescu et al (1991, IBVS No.3560) stammt die neueste Ephemeride:
Tmin = JD 2443604.5880 + 0.26781856 ×E   .
Alternativ sollten auch die linearen und parabolischen Fits von Rovithis & Rovithis-Livaniou (1990, A&A Suppl. 86,523) getestet werden:
Tmin = JD 2439852.4644 + 0.2678176 ×E
Tmin = JD 2439852.4927 + 0.26781464 ×E + 7.21·10-11 ×E2  .
VW Cep:
Auch dieser Bedeckungsveränderliche ist Bestandteil eines Dreifachsystems. Seine Umlaufsdauer wird allmählich kürzer. Die neuesten Ephemeriden stammen von Navratil (1994, IBVS N.3997)
Tmin = JD 2448862.5255 + 0.27831460 ×E
und Aluigi et al (1994, IBVS No.4117)
Tmin = JD 2448862.5220 + 0.2783076 ×E   .

Aus den verschiedenen Lichtkurven (für jeden Vergleichsstern eine) ist eine gemittelte Lichtkurve zu erstellen. Diese ist mit einer Lichtkurve, die aus Literaturangaben erzeugt wurde, zu vergleichen (s. Abb.3, 5 und 6).

2.2  Erste Abschätzungen

Bevor die Parameter des Bedeckungsveränderlichen mit dem Simulationsprogramm bestimmt werden, ist es vorteilhaft, gute Startwerte für zumindestens die wichtigsten Parameter zu erhalten.

Den Lichtkurve in den Abb.3, 5 und 6 zufolge handelt es sich bei allen Sternen um W UMa-Veränderliche. Ein guter Startwert für den fillout factor eines solchen Systems wurde bereits oben angegeben. Der Temperaturunterschied der beiden Komponenten in W UMa-Sternen beträgt typischerweise 200 K. Die Temperatur des Hauptsterns läßt sich aus den Spektraltypen mit Hilfe der Tabelle im Anhang II erschließen:

AB And:
Aus dem Spektrum des Stern (s. Abb.4) folgt der Spektraltyp G5 v.
44i Boo:
Für den Hauptstern dieses Systems wird ein Spektraltyp von G7 v angegeben.
VW Cep:
Die massereichere Komponente dieses Systems hat einen Spektraltyp von G9 v.

Aus der RGK in Abb.3 kann auf das Massenverhältnis der beiden Sternkomponenten von AB And geschlossen werden. Zu beachten: Ist der massereichere Stern des beobachteten Systems die kühlere oder heißere Komponente?

Die Tatsache, daß es zu Bedeckungen kommt, läßt auf einen Inklinationswinkel i von etwa 90 Grad schließen.

2.3  Parameterbestimmung mittels Simulationsprogramm

Zur feineren Parameterbestimmung wird das Simulationsprogramm Binary Maker 2.0 verwendet, das ausgehend von den Parametern eines Doppelsternssystems dessen Lichtkurve, RGK und Spektrallinienform berechnen kann. Das Programm läuft interaktiv unter dem Betriebssystem DOS und wird über Menübalken gesteuert. Durch Vergleich der beobachteten Lichtkurve mit der berechneten sind die Parameter des simulierten Systems schrittweise zu verbessern. Bei zufriedenstellender Übereinstellung der Lichtkurve kann man die Parameter des beobachteten Sterns mit denen der Simulation identifizieren.

Zunächst muß es darum gehen, die Reaktion der berechneten Lichtkurve auf Änderungen der Parameter zu verstehen. Dazu wird eine Lichtkurve mit den zuvor abgeschätzten Parametern gerechnet. Anschließend werden die Parameter T2 (Temperatur des Sekundärsterns), f (fillout factor) und i (Inklinationswinkel) separat variiert und die so erhaltenen Lichtkurve mit der des Ausgangssystems verglichen. Im einzelnen ist folgendes zu tun:

Um die gespeicherten PostScript-Files auszudrucken, ist die Hilfe des Betreuers vonnöten!

Im folgenden soll die beobachtete Lichtkurve des veränderlichen Sterns als Vergleich dargestellt werden. Dazu ist (vom Startbildschirm des Programms) wieder File/Read Data File zu starten, Auswahl ``2'' zu selektieren und der Filename

abandv.dat
für AB And
44iboov.dat
für 44i Boo, und
vwcepv.dat
für VW Cep

einzugeben, um die beobachtete Lichtkurve des zu untersuchenden Sterns im Hintergrund darzustellen. Es ist wieder die synthetische Lichtkurve für die oben diskutierten Startparameter zu rechnen und diese Kurve mit den Beobachtungsdaten zu vergleichen. Es werden sich vermutlich Unterschiede zeigen. Anhand der vorher erstellten Lichtkurvenplots überlege man sich eine Strategie, mit der die Parameter T2, f und i zu ändern sind, um die Unterschiede zu minimieren. Welche Parameter erhält man nach erfolgter Optimierung? Wie genau sind diese Parameter festgelegt (Fehlergrenzen)? Den augenblicklichen Parametersatz kann man sich vom Startbildschirm des Programms aus unter File/See Brief Data Table am Bildschirm anschauen bzw. durch File/Print Total Data Table in einen File ausgeben lassen.

Anhang I: Julianisches Datum

Die folgende Methode zur Berechnung des Julianischen Datums aus der Tagesangabe (Jahr, Monat, Tag) im Gregorianischen Kalender und der Uhrzeitangaben (Stunde, Minute, Sekunde) in Universal Time (UT) stammt von Montenbruck und Pfleger, "`Astronomie mit dem Personalcomputer"', Springer-Verlag, 1989.


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On 30 Nov 2000, 13:39.