Sterne und Weltraum SPECIAL Nr. 2: Schöpfung ohne Ende - Die Geburt des Kosmos - November 1997

Galaxien in der Tiefe der Zeit - Von Ralf Bender, Ulrich Hopp und Roberto P. Saglia

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Sprung macht. Unterhalb dieser Wellenlänge senden die Sternentstehungsgebiete so gut wie keine Strahlung mehr aus ­ das interstellare Gas absorbiert dieses Licht nahezu vollständig.

Würde man Bilder einer solchen Sternentstehungsregion durch einen »ultravioletten« Filter aufnehmen, das nur Licht mit Wellenlängen kürzer als 90 Nanometer durchläßt, so wäre die Region darauf unsichtbar. Aufnahmen durch einen »blauen oder »grünen&laqno; Filter würden die Region aber sehr wohl zeigen.

Diese Idee brachte einen Durchbruch in der Suche nach entstehenden Galaxien. Man muß nur noch die Rotverschiebung berücksichtigen, entsprechend passende Filter wählen und sehr tiefe Aufnahmen belichten. Für Rotverschiebungen von etwa drei bis vier ist das fehlende ferne ultraviolette Licht gerade in das von der Erde beobachtbare nahe Ultraviolette verschoben, daher der Name UV-Outdroppers; auf analoge Weise ist aus dem ursprünglich blauen Licht der Galaxien jetzt rotes Licht geworden (Bilder Seite 19 oben rechts).

Mittlerweile haben die Astronomen schon einige hundert dieser Galaxien gefunden. Ihre Spektren, mit dem 10-Meter-Keck-Teleskop aufgenommen, zeigen tatsächlich, daß die Galaxien Rotverschiebungen zwischen 2.5 und 4 haben, also

nur wenige Milliarden Jahre alt sind. Sie haben ähnliche spektrale Eigenschaften wie Galaxien hoher Sternentstehungsrate in unserer Nähe, sogenannte Starburst-Galaxien mit Sternentstehungsraten von bis zu 100 Sonnenmassen pro Jahr. Normale Spiralen wie unsere Milchstraße bilden hingegen nur noch wenige Sterne und haben daher eine Rate von ein paar Sonnenmassen pro Jahr.

Das Hubble Deep Field

Welche Form haben diese entstehenden Galaxien? Diese Frage konnte nur das Hubble-Teleskop mit seinem superscharfen Blick beantworten. Um die leuchtschwachen Urgalaxien überhaupt abbilden zu können, hat es im Dezember 1995 zehn Tage lang ein kleines Stück Himmel nahe dem Sternbild Großer Wagen beobachtet. Das Resultat nennt man das Hubble Deep Field (Bild Seite 19). Es ist das teuerste je gewonnene astronomische Bild und gehört nun zu den Kulturschätzen der Menschheit. Immerhin haben Kunstliebhaber noch mehr Geld für Bilder des Malers van Gogh bezahlt, als die Steuerzahler für die tiefe Hubble-Aufnahme aufwenden mußten.

Das Hubble Deep Field zeigt uns einen sehr tiefen Blick bis an den Rand des für (Fortsetzung auf Seite 13)



Elliptische Galaxien: Spuren vom großen Crash

Unter Anleitung von Ralf Bender und Roberto Saglia schreibe ich an der Universitäts-Sternwarte München meine Doktorarbeit. Meine Forschungen sind Teil einer Kooperation mit Gary Wegner vom Dartmouth College in New Hampshire, USA. Wir untersuchen die spektralen Eigenschaften und die Strukturen von elliptischen Galaxien und wollen herausfinden, ob es Unterschiede gibt, je nachdem, wo sich die Galaxien aufhalten: in großen oder kleinen Haufen, im Zentrum oder mehr am Rand dieser Gebilde.

In etwa 300 Millionen Lichtjahren Entfernung, 35 Grad südöstlich des Großen Bären befindet sich der Coma-Galaxienhaufen. Mit knapp zehntausend Galaxien zählt er zu den gewaltigsten Ballungszentren des uns bekannten
Universums. Ein imposantes Mitglied dieser Ansammlung ist die elliptische Galaxie NGC 4816: Sie hat einen viermal größeren Durchmesser als unsere Milchstraße.

Als erstes untersuche ich am Computer eine Aufnahme von NGC 4816, die vom Hubble-Weltraumteleskop stammt (Bild rechts oben). Auf den ersten Blick sieht die Galaxie ganz normal aus: Die Konturen gleicher Helligkeit, die sogenannten Isophoten, bilden nahezu perfekte Ellipsen. Nur ein geübter Betrachter erkennt bereits mit bloßem Auge, daß die Isophoten im Zentrum gestreckter sind als am Rand der Galaxie.

Erst die genaue Computeranalyse, die ich durchführe, zeigt, daß sich im Zentrum von NGC 4816 in der Tat eine Scheibe befindet (Bild rechts Mitte).
Sie trägt nur etwa ein Prozent zum Gesamtlicht der Galaxie bei und nimmt etwa ein zwanzigstel des Galaxiendurchmessers ein.

Als zweites stehen mir Beobachtungsdaten vom 3.5-Meter-Teleskop
der Deutsch-Spanischen Sternwarte
auf dem Calar Alto zur Verfügung. Dort haben wir das Licht

von NGC 4816 mit einem Spektrographen in seine Farbbestandteile zerlegt. Und zwar haben wir dies nicht für die Galaxie insgesamt getan, sondern für viele ihrer Bereiche getrennt. So kann ich nun in einer ganzen Reihe von Spektren die Verschiebung der Spektrallinien aufgrund des Dopplereffektes bestimmen. Denn wegen der Rotation der Galaxie bewegen sich ihre verschiedenen Bereiche mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten in Blickrichtung.

Aus diesen Daten erstelle ich die sogenannte Rotationskurve von NGC 4816, welche die Geschwindigkeit jedes Bereichs in Abhängigkeit vom Zentrumsabstand zeigt (Diagramm rechts unten). Im äußeren Bereich bewegen sich die Sterne wie in einem Karussell, das sich entgegen dem Uhrzeigersinn dreht: Auf der rechten Seite entfernen sich die Sterne vom Betrachter, während sie sich auf der linken Seite auf uns zu bewegen. Aber im Zentrum bewegen sich die Sterne gegenläufig! Es handelt sich offenbar um die im HST-Bild entdeckte Scheibe ­ sie rotiert gegenläufig zur übrigen Galaxie. Sie ist eine der größten entkoppelten Kernscheiben, die Astronomen bisher in elliptischen Galaxien finden konnten.

Wie kann ich die Befunde meiner Datenanalyse nun interpretieren? Numerische Simulationen verschiedener Forschergruppen haben einerseits gezeigt, daß solch ein gegenrotierender, entkoppelter Kern nur entstehen kann, wenn zwei eigenständige Galaxien miteinander verschmelzen. Andererseits ist bekannt, daß sich Scheiben nur mit Hilfe von Gas bilden können. Die Eltern-Galaxien von NGC 4816 müssen also neben Sternen auch eine ausreichende Menge Gas enthalten haben.

Joshua Barnes von der Universität Hawaii läßt gashaltige Sternensysteme im Computer verschmelzen. Die Bildsequenz unten zeigt eine dieser