Sterne und Weltraum SPECIAL Nr. 2: Schöpfung ohne Ende - Die Geburt des Kosmos - November 1997

Galaxien in der Tiefe der Zeit - Von Ralf Bender, Ulrich Hopp und Roberto P. Saglia

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Oben: Im Zentrum des Virgo-Haufens sind sich die Galaxien so nahe, daß es häufig zu Kollisionen oder Beinahezusammenstößen kommt. Spiralgalaxien haben dort nur eine geringe Überlebenschance. (Erwin Clef)

Unten: Centaurus A, eine große elliptische Galaxie, verleibt sich gerade eine Zwerggalaxie ein. (Bernd Koch)

sind. Unsere Münchner Forschungsgruppe hat nun mehrere Galaxienhaufen mit Rotverschiebungen zwischen null und 0.8 untersucht, um nahe und ferne Haufen miteinander zu vergleichen. Wir haben bereits erwähnt, daß diese dichten Ansammlungen von Welteninseln im heutigen Kosmos besonders reich an roten elliptischen und an S0-Galaxien sind. Blau leuchtende Spiralen und irreguläre Galaxien sind überwiegend am Rande der Haufen zu finden.

Bei höheren Rotverschiebungen zeigen die Haufen ein ähnliches Phänomen wie die Feldgalaxien: Je ferner, das heißt jünger, die Galaxienhaufen sind, desto mehr blaue, sternbildende Galaxien sind darin enthalten. Die blauen Galaxien stellen in näheren reichen Haufen nur etwa zehn Prozent der gesamten Population, sind aber in Haufen bei Rotverschiebungen zwischen 0.6 und 0.8 drei- bis viermal so häufig.

Unsere Analyse von Aufnahmen des Hubble-Teleskops ergab, daß die meisten dieser blauen Objekte Spiralgalaxien mit erhöhter Sternentstehungsrate sind, und nicht in der Verschmelzung begriffene Galaxien, aus denen später Ellipsen werden, wie man ursprünglich vermutet hatte. Dies zeigen auch die Untersuchungen, die viele andere Astronomen an verschiedenen Haufen durchgeführt haben. Heute nimmt man an, daß diese blauen Spiralen ihren Gasanteil durch die turbulenten Vorgänge innerhalb des Haufens im Laufe der Zeit verlieren und sich in S0-Galaxien umwandeln.

Die Entwicklungsgeschichte der elliptischen Galaxien in Haufen ist sehr viel langweiliger als die aller anderen Galaxien. Aus der Analyse der beobachteten Farben und Spektren ergibt sich unmittelbar, daß in diesen Galaxien schon seit längerer Zeit keine Sterne mehr entstanden sind. Nach unseren gegenwärtigen Erkenntnissen haben elliptische Galaxien in Haufen also sehr wahrscheinlich ihre Sterne etwa innerhalb der ersten zwei Milliarden Jahre nach dem Urknall produziert. Sie sind sozusagen die Methusalems der Galaxien.

Vergrößerungsgläser im Weltall

Reiche Galaxienhaufen mit Rotverschiebungen zwischen 0.2 und 0.6 bieten die Möglichkeit, die Entwicklung noch entfernterer, noch schwächerer Galaxien zu untersuchen. Das immense Gravitationsfeld solch eines Haufens kann die Lichtstrahlen von Welteninseln, die genau dahinter liegen, bündeln ­ es wirkt sozusagen als Vergrößerungsglas. Und tatsächlich spricht man in solch einem Fall vom Gravitationslinseneffekt.

Mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie sagte Einstein voraus, daß eine Massenkonzentration Lichtstrahlen ablenken kann. Bestätigt wurde diese theoretische Vorhersage im Jahre 1919, als bei einer Sonnenfinsternis festgestellt wurde, daß sich die Bilder der Fixsterne neben der Sonnenscheibe um den winzigen Winkel von 0.0005 Grad verschoben hatten.

Wenn Galaxienhaufen als Gravitationslinsen wirken, dann sind nicht nur die Positionen dahinterliegender Galaxien verschoben, es kommt sogar zur Mehrfachabbildung ein und derselben Galaxie. Spektakuläre Beispiele sind die bis zu 0.01 Grad langen Lichtbögen, die Astronomen in mehreren Haufen beobachtet haben (Bild Seite 22). Bei solch einem Bogen handelt es sich um eine Aneinanderreihung von drei Bildern einer weit entfernten Galaxie.

Besonders wichtig hierbei ist, daß die durch den Gravitationslinseneffekt beeinflußten Bilder größer sind, als es das ungestörte Galaxienbild wäre. In gleichem Maße ist die Helligkeit der Galaxie erhöht (Bild Seite 20).

Die Astronomen benutzen den Gravitationslinseneffekt auf zweierlei Weise für ihre Zwecke. Zum einen läßt sich aus