Sterne und Weltraum SPECIAL Nr. 2: Schöpfung ohne Ende - Die Geburt des Kosmos - November 1997

Galaxien in der Tiefe der Zeit - Von Ralf Bender, Ulrich Hopp und Roberto P. Saglia

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Ordnungsschema der Galaxien, das auf Edwin P. Hubble zurückgeht. Nur wechselwirkende Galaxien erfaßt es nicht. (SuW-Graphik)

wenige Sterne. Um den Typ einer Galaxie feststellen zu können, müssen die Astronomen daher die Entfernung der Galaxie bestimmen.

Dafür wird Edwin P. Hubbles große Entdeckung benutzt, daß wegen der Expansion des Weltalls die Fluchtgeschwindigkeiten der Galaxien mit zunehmender Enfernung immer größer werden. Die Fluchtgeschwindigkeit einer Galaxie läßt sich mit genügend großen Teleskopen relativ einfach und sehr präzise messen. Dazu wird mit einem Spektrographen das Galaxienlicht der Wellenlänge nach zerlegt. Im so erzeugten Spektrum erscheinen charakteristische Spektrallinien, die zum Beispiel von den leuchtenden Gasnebeln in der Galaxie stammen (Beitrag ab Seite 26). Je größer nun die Fluchtgeschwindigkeit einer Galaxie ist, desto stärker sind die Spektrallinien zu größeren Wellenlängen, zum roten Spektralbereich hin, verschoben (Diagramm rechts). Man spricht daher von der Rotverschiebung einer Galaxie.

Die Rotverschiebung z ist ein direktes Maß für die Fluchtgeschwindigkeit y und damit auch für die Entfernung D einer Galaxie. In untenstehender Tabelle ist der Zusammenhang für einige Rotverschiebungswerte z direkt angegeben. Die Fluchtgeschwindigkeit ist dabei als Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit, 300 000 Kilometer pro Sekunde, angegeben. Die Entfernung hat die Einheit Millionen Lichtjahre.

Rätselhafte blaue Galaxien

In den letzten Jahren haben die Forscher für sehr viele, auch leuchtschwache Galaxien Rotverschiebungsmessungen durchgeführt. Diese Untersuchungen ergeben folgendes Bild: Rote Galaxien, das heißt hauptsächlich elliptische Galaxien, haben sich im Rotverschiebungsbereich von null bis ungefähr eins praktisch kaum entwickelt. Sie müssen daher relativ alt sein.

Diese Einschätzung bestätigt sich durch die Altersbestimmung der Sterne in elliptischen Galaxien, die sich ebenfalls anhand der Spektren vornehmen läßt: Die Sterne sind überwiegend mehr als

z

v [km/s]

D1


0.001
0.01
0.1
0.5
1
2
3
4
5

300
3000
30000
...
...
...
...
...
...

14 MLj
140 MLj
1270 MLj
4600 MLj
7000 MLj
9300 MLj
10500 MLj
11100 MLj
11700 MLj

1 Für die Hubble-Konstante wurde hier der Wert 70 km s-1/Mpc gewählt; die Entfernung basiert auf der sogenannten look-back time.

zehn Milliarden Jahre alt. Die meisten elliptischen Galaxien, vor
allem diejenigen in großen Galaxienhaufen, sind also offenbar schon während der ersten paar Milliarden Jahre nach dem Urknall entstanden ­ wahrscheinlich durch Verschmelzung von scheibenförmigen Urgalaxien.

Die Anzahldichte der blauen Galaxien nimmt dagegen mit der Entfernung ständig zu, so daß man in der fernen Vergangenheit dreimal so viele blaue Galaxien findet wie heute (Bild Seite 19). Wo aber sind diese vielen blauen Galaxien heute? Beobachtungen mit dem Hubble-Weltraumteleskop haben mittlerweile gezeigt, daß es sich bei den blauen Galaxien hauptsächlich um irreguläre Zwerggalaxien handelt, deren beobachtete Anzahl sich aus zwei Gründen bis heute verringert haben könnte: Womöglich strahlten die heute lichtschwachen Zwerggalaxien vor etlichen hundert Millionen Jahren heller als heute. So könnten relativ leuchtkräftige irreguläre Galaxien, ähnlich den heutigen Magellanschen Wolken, durch verminderte Sternentstehung allmählich an Leuchtkraft verloren haben und heute viel schwerer nachweisbar sein.




Je entfernter eine Galaxie ist, desto stärker sind ihre Spektrallinien rotverschoben. Grund: der Dopplereffekt, verursacht durch die allgemeine Galaxienflucht. (SuW-Graphik)

Die zweite Möglichkeit ist, daß Kannibalismus und Verschmelzung die Zahl der irregulären blauen Galaxien im Laufe der Zeit reduziert hat: So wie unsere Milchstraße zur Zeit die Sagittarius-Zwerggalaxie verschluckt, könnte sie sich auch in der Vergangenheit schon mehrfach Zwerggalaxien einverleibt haben. Nach dem zur Zeit von den meisten Galaxienforschern bevorzugten Modell der hierarchischen Entstehung der Galaxien haben sich die größeren Galaxien ihre Substanz in einem Jahrmilliarden andauernden Kannibalen-Menü allmählich angefressen.

Die bisher geschilderten Ergebnisse beziehen sich auf die sogenannten Feldgalaxien, die nicht in Haufen versammelt