Vor drei Jahren noch ein Geheimtip, kann es heute mit einer eindrucksvollen Liste von Referenzkunden aufwarten: Linux, das Betriebssystem mit dem Pinguin-Logo, das das Quasi-Monopol von Windows knacken koennte. Eine Erfolgsstory. Von Jakob Steuerer Auf der Insel der Pinguine Vor zwei, drei Jahren galt es noch als absoluter Geheimtip der studentischen Internet-Freaks, heute wird im Top-Management mancher grosser Konzerne bereits heftig diskutiert, ob es nicht eine probate Alternative zu Microsoft darstellen koennte. Die Rede ist von einem rasant und hoechst eigenwillig gewachsenen Betriebssystem namens Linux, dessen Markenzeichen ein liebenswerter Pinguin ist. Linux ist Freeware, kostet also nichts - und gilt zu allem Ueberfluss noch als extrem leistungsfaehig. Den klaren Nachweis fuer letzteres erbrachte sein Einsatz bei der Produktion des Kassenschlagers "Titanic": Auf einer geclusterten "Farm" von hochschnellen 64-Bit-Alpha-Rechnern der Firma Digital entstanden mit Hilfe des Linux-Betriebssystems samt "Rendering"-Software einige jener photorealistischen Spezialeffekte dieses Filmes, die das Publikum so ueberaus goutierte. Die Liste der Referenzkunden ist ueberhaupt eindrucksvoll: Da finden sich die Weltraumbehoerde NASA neben der Technologieboerse Nasdaq, der Unterhaltungsmulti Disney neben dem Flugzeug-Hersteller Lockheed Martin, fuehrende US-Universitaeten neben der Paketlogistik-Firma UPS - um nur einige zu nennen. Sie alle setzen - zumindest in essentiellen Teilen ihrer computerischen Aktivitaeten - auf ein Betriebssystem, das nicht von einer Firma à la Microsoft in jahrelanger konstruktiver Arbeit erstellt wurde, sondern von einer unueberschaubaren Horde per Internet kommunizierender Entwickler, die meisten davon Hacker! Dieser Sachverhalt jagt jedem gestandenen System-Administrator kalte Schauer ueber den Ruecken: Wen soll er gegenueber der Geschaeftsleitung als eigentlichen Suendenbock angeben, wenn ihm sein Linux einmal crasht? - Einer seltsamen Internet-Community von freakigen Programmierern? Die Beweggruende, warum man dennoch auf Linux vertraut, sind klar benennbar: Das Betriebssystem unter dem Zeichen des Pinguin zaehlt zu den feinsten und stabilst laufenden, welche die Computer-Szene derzeit zu bieten hat. Und gleichzeitig zu den leistungsstaerksten: Linux existiert bereits in robusten 64-Bit-Versionen, waehrend Microsoft noch froh ist, daß sein 32-Bit-Windows-NT ziemlich stabil laeuft. Und bei allen anderen technischen Parametern kann Linux mit Windows NT, dem ein Entwicklungsaufwand von bislang mehr als einer Milliarde Dollar (12,6 Milliarden Schilling, 906 Millionen Euro) nachgesagt wird, allemal mithalten. Linux beherrscht ebenso wie NT: Multitasking, Multiprocessing, Virtual Memory, nebst einer Reihe von avancierten Netzwerk-Faehigkeiten. Die seltsame Geschichte der "Pinguin-Software" begann im Herbst 1990: Linus Torvalds, ein Student der Informatik an der finnischen Universitaet Helsinki, wollte sich partout nicht damit abfinden, daß er regelmaessig Schlange stehen musste, um an einem der 16 Rechner-Terminals seine Unix-Programmieruebungen zu absolvieren. Es musste doch moeglich sein, ein System zu schaffen, mit dem er sich von seinem Heim-PC via Modem in das Uni-Rechnersystem einloggen konnte. Das damals auf PCs uebliche Betriebssystem MS-DOS schien ihm dafuer denkbar ungeeignet. Als einzige Alternative kam eine Art "Baby-Unix" namens Minix in Frage - ein Vorschlag des US-Programmier-Gurus Andrew Tanenbaum. Was noch fuer Minix sprach: Es hatte sich seit seiner Veroeffentlichung 1987 eine vitale Internet-Gemeinde gebildet, deren Newsgroups Ende der Achtziger von mehr als 50.000 Minix-Usern rege und produktiv frequentiert wurden. Die weitere Entwicklung von Minix hin zu Linux im schnellen Vorlauf: Das Software-Genie Linus Torvalds optimierte sein Minix-System in mehrmonatiger Programmierarbeit und reicherte es mit attraktiven Eigenschaften dermassen an, daß ein neuartiger, wesentlich leistungsfaehigerer "Kernel" (das innerste Herzstueck eines Betriebssystems) entstanden war. Kurz: Linux war geboren. Daß daraus aber in der Folge und quasi im Selbstlauf mehr als ein exzellentes Studenten-Projekt werden sollte, ueberraschte selbst Linus: Seine vom Internet-Server der Uni Helsinki frei downloadbare Ur-Version von Linux fand sofort heftigen Zuspruch unter den Unix-Freaks. Ein halbes Jahr spaeter war Linux bereits bei einer Hundertschaft der begabtesten Hacker in Gebrauch und Weiterentwicklung. In Windeseile konnte Linus Torvalds so im Verein mit seinen rund um den Erdball verstreuten Edelhacker-Freunden einen nachgerade ausgereiften System-Kern schaffen, der sich bis heute als ueberaus stabil, sprich: "bug-free" erwiesen hat. Was allerdings noch fehlte, war die probate Anbindung zu - ebenfalls frei erhaeltlicher - Anwendungssoftware. Bereits ein halbes Jahrzehnt zuvor, 1984, hatte Richard Stallmann, der in den Siebzigern dem Kernteam des "Artificial Intelligence Laboratory" am Bostoner MIT angehört hatte, ein ehrgeiziges Projekt namens GNU gestartet: Mit seiner "Free Software Foundation" und einigen hunderttausend Dollar Sponsorgeld wollte er eine komplette Unix-aehnliche Betriebsumgebung samt der noetigen Compiler und Werkzeuge bauen - und jedem Interessierten kostenlos zur Verfuegung stellen. Von Stallmann stammt auch ein paradox anmutender Begriff zur Lizenzierung von Software: "Copyleft". Was heisst: Software, die das Guetesiegel der sogenannten GNU Public Licence (GPL) erwerben will, muss im Sourcecode vorliegen und darf ausdruecklich modifiziert sowie an jedermann frei verteilt werden. Allerdings - und das ist der raffinierte Kern der Sache - unterliegen alle Veraenderungen an GPL-Software wiederum den Kriterien der GNU Public Licence. Michael Kunze, Freeware-Experte des Computermagazins "c't", bringt die hintersinnigen Konsequenzen des "Copyleft" auf den Begriff: "Dieser Trick verhindert Trittbrettfahrerei und schliesst jede monopolartige Kommerzialisierung von GPL-Software aus, weil keine exklusiven Nutzungs- und Distributionsrechte entstehen koennen. Im Gegenteil: Jeder, der auf Basis von GNU-Software entwickelt, muß die Resultate wiederum der Gemeinschaft zur Verfuegung stellen." Diese Abgrenzung vom ueblichen Markt-Modell ist jedoch keine fundamentalistische, betont Kunze: "Free Software im Sinne von GNU bedeutet nicht, daß Distributoren und Entwickler kein Geld fuer ihre Arbeit verlangen duerfen. Sie koennen sich wegen der speziellen Distributionsklauseln aber keine Monopolstellung sichern." - Daß Bill Gates & Co. seither keine rechte Freude mit Stallmanns Konstrukt haben, ist wohl klar. Dennoch, das Modell von Stallmann hat Hand und Fuss, wie sein Manifest von 1984 hellsichtig beweist. Der "c't"-Autor Kunze skizziert dessen Kernaussage: "Weil sich Software in nahezu beliebiger Menge und Geschwindigkeit kopieren und verbreiten laesst, tendiert ihr Herstellungspreis im Grenzwert gegen Null. Zusammen mit den exklusiven Rechten des Copyright kann dieser Umstand schnell zur Bildung von Verwertungsmonopolen fuehren, die den Wissensaustausch der gesamten Gesellschaft behindern und dem Monopolinhaber quasi eine Lizenz zum Gelddrucken einraeumen." Lakonische Anmerkung zur prophetisch anmutenden These Stallmanns: Wem kaeme da nicht der aktuelle "Fall Microsoft" ganz deutlich in den Sinn? Wie dem auch sei: Die finale Verschmelzung der beiden genialen Ansaetze von Stallmann und Torvalds erfolgte 1993/94, als der Linux-Kernel gezielt an die vorhandene GNU-Umgebung angepaßt wurde. Der Vorteil war ein sofortiger und beiderseitiger: Die GNU-Freaks hatten bis dato wohl ein stattliches "Toolset", das Compiler und Einzelprogramme umfasste, geschaffen - allein man hatte bisher keinen probaten Kernel erzeugen koennen. Und die Linux-Szene kam mit dieser Kombination schlagartig in ein Ambiente, das reich an konkreten und frei verwendbaren Applikationen war. Kurz darauf konnte Torvalds einen weiteren Linux-Mangel ausmerzen: das urspruengliche Fehlen einer benutzerfreundlichen Oberflaeche. Von einer anderen Nonprofitgruppe, dem "Xfree86 Projekt", erhielt man ein erstes "Graphical User Interface" (GUI), das vom X-Window System der Unix-Welt adaptiert worden war. Und last, but not least: Linux verpflichtete sich daraufhin offiziell dem "Copyleft-Modell" der GNU, was wiederum - gemeinsam mit dem 1993/94 erst so richtig aufbluehenden Internet - der Linux-Idee enorme Schubkraft verschaffte. Und im Maerz 1994 erschien mit Linux Version 1.0 das sichtbare Ergebnis all dieser jeweils essentiellen und bewusst kooperativen "Anreicherungsprozesse". Die weltweite Linux-Gemeinde reagierte enthusiastisch, und seither gedeiht Linux wie ein organisches Gewaechs der Sonderklasse. Experten wagen sogar die Prognose, die faszinierende Insel der Software-Pinguine des Linus Torvalds sei eine der wenigen Zonen der Hoffnung auf ein kuenftiges computerisches Leben abseits der absoluten Microsoft-Vorherrschaft. PS: Die juengsten Kapitel der Linux-Story machen klar, warum die vernetzten Pinguin-Freaks selbst den maechtigen Bill Gates das Fuerchten lehren koennten - nachzulesen naechste Woche im "Spectrum". Jakob Steuerer ist unter der Internet-Adresse js@hightech.presse.co.at erreichbar.